Geschichte
Luftschutzräume wurden im Zweiten Weltkrieg als Antwort auf die Bedrohung durch Luftangriffe gebaut, um die Zivilbevölkerung vor Bombardierungen zu schützen. Mit der zunehmenden Nutzung von Flugzeugen als Waffe nach dem Ersten Weltkrieg wurde klar, dass neue Schutzmaßnahmen notwendig waren. 1933 gründete Hermann Göring den Reichsluftschutzbund (RLB), der für den Schutz der Bevölkerung und die Organisation des Luftschutzes zuständig war.
Neben umfangreichen Schulungs- und Aufklärungskampagnen wie „Luftschutz tut not“ richtete sich der Fokus auf den Bau von Schutzanlagen. In Stuttgart, einer Stadt mit kriegswichtiger Industrie, begannen die Bauarbeiten unter Oberbaurat Richard Scheuerle. Es wurden Tief- und Hochbunker errichtet sowie ein ausgeklügeltes System aus unterirdischen Luftschutzräumen und Stollen gebaut. Diese sogenannten Bauwichgänge verbanden Keller ganzer Straßenzüge und boten Fluchtmöglichkeiten. Bis 1945 erreichte das Stollennetz eine Länge von 32 Kilometern.
Ab 1943 ergänzte man die Schutzmaßnahmen durch den Bau von Pionierstollen, die zusätzlichen Schutz für besonders gefährdete Gebiete bieten sollten. Trotz dieser Bemühungen boten die Luftschutzräume insgesamt nur Platz für etwa fünf Prozent der Stuttgarter Bevölkerung. Die Arbeiten wurden von deutschen Arbeitern sowie Kriegsgefangenen durchgeführt.
Quellen:
Schutzbauten Stuttgart: Schutzraumbau im Zweiten Weltkrieg – Schutzraumbau in Stuttgart. Online unter: https://www.schutzbauten-stuttgart.de/de-de/geschichte2weltkrieg/schutzraumbau2weltkrieg/schutzraumbauinstuttgart.aspx (zuletzt abgerufen am 15.01.2025).
Schutzbauten Stuttgart: Geschichte des Luftschutzes im Zweiten Weltkrieg. Online unter: https://www.schutzbauten-stuttgart.de/de-de/geschichte2weltkrieg.aspx (zuletzt abgerufen am 15.01.2025).
Eigentumsverhältnisse
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und insbesondere mit der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges änderten sich die Eigentumsverhältnisse vieler Luftschutzräume in Stuttgart grundlegend. Während diese Anlagen ursprünglich als staatlich finanzierte Schutzräume für die Zivilbevölkerung oder das Militär dienten, wurden die meisten in den Jahrzehnten danach rechtlich in die Verantwortung der jeweiligen Grundstückseigentümer überführt.
Dies geschah im Rahmen des Rückabwicklungsverfahrens, das 2007 mit der vollständigen Aufgabe des flächendeckenden Schutzbauprogramms durch die Innenministerkonferenz endgültig abgeschlossen wurde. Seitdem stehen die Bauwerke den Eigentümern zur uneingeschränkten Nutzung zur Verfügung, soweit keine sicherheitsrelevanten Einschränkungen vorliegen. Rechtlich betrachtet gehören unterirdische Stollen zum Grundstück, auf dem sie sich befinden.
Dies kann für die Eigentümer sowohl Vorteile als auch erhebliche finanzielle Belastungen mit sich bringen. In gutem Zustand können solche Stollen als interessante historische oder private Nutzungsmöglichkeiten betrachtet werden. Sollten sie jedoch marode oder einsturzgefährdet sein, tragen die Grundstückseigentümer die Verantwortung für die Sicherung. Dies kann erhebliche Kosten verursachen, da die Möglichkeit, Regressansprüche an den Bund zu stellen, durch das Kriegslastenfolgegesetz stark eingeschränkt wurde. Nach diesem Gesetz konnten Anträge zur Beseitigung von Kriegslasten nur bis Ende 1959 gestellt werden. Seither ist die Haftung des Bundes als Rechtsnachfolger der nationalsozialistischen Regierung erloschen. Zivilschutzanlagen, die im Eigentum der Stadt Stuttgart verblieben sind, werden heute vom Amt für Liegenschaften verwaltet.
Quellen:
Stadt Stuttgart: Begründung der Denkmaleigenschaft – Tiefbunker Feuerbach. Online unter: https://www.stuttgart.de/medien/ibs/begruendung_der_denkmaleigenschaft-tiefbunker-feu.pdf (zuletzt abgerufen am 15.01.2025).
Zielfleisch, Rolf: Geheimnisse im Stuttgarter Untergrund. 1. Auflage, Stuttgart: typoform Verlag, 2008
Zeitzeugenbericht
Frau Helene Wiedemann schrieb über den Bau des Pionierstollens Buowaldstraße (Sillenbuch):
,,Es war im vierten Jahr des Zweiten Weltkriegs, Anfang 1944. Die Bombenangriffe auf Stuttgart häuften sich. Wir hatten noch keinen Stollen. So entschlossen wir uns, selber einen Luftschutzstollen zu graben. Wir hatten einen Architekten, Herrn Rübling, der in unserer Nähe wohnte und er nahm die Sache in die Hand. - Die meisten Männer waren an der Front, einige wenige UK gestellt und so mussten Frauen ran. Mein Vater und Herr Schweif, die schon älter waren, gingen tatkräftig an die Arbeit. Da wir von der Stadt anfangs keine Unterstützung bekamen, mussten wir das Stollenholz selber beschaffen. Zuerst aber musste der Platz bestimmt werden. An der Ecke, an der heute der Briefkasten angebracht ist, auf dem Anwesen von Herrn Kugel, sollte der Eingang sein. Da hier in unserer Gegend Sandstein ist, auch unser Haus steht auf Sandstein, stießen wir beim Graben sehr bald auf Sandfelsen. Also musste gesprengt werden. Mein Vater sprengte, und eine Treppe mit 70 Stufen entstand nach mühevoller Arbeit. Zugleich aber musste, das war Vorschrift, nicht nur der Eingang, sondern auch der Ausgang des Stollens gemacht werden. Im sogenannten Dachs, so hieß das Flurstück, das der Tochter von Herrn Kugel gehörte, sollte der Ausgang hinkommen. Es liegt am Hang und so mussten wir zuerst eine ebene Fläche schaffen mit Dielen, auf dem wir den ausgegrabenen Boden mit Schubkarren fahren konnten. Dies war dann die Hauptbeschäftigung von uns Frauen. Wir wurden eingeteilt zum Stollenbau und von jedem Haus musste mindestens eine Person mithelfen.
Die UK-gestellten Männer bohrten uns mit Bosch Hämmern in ihrer Freizeit, also wenn sie nicht in die Fabrik zur Arbeit mussten, Berge Boden heraus, die wir Frauen dann am Tage mit den Schubkarren heraus fahren mussten. Männerarbeit, doch auch ich griff oft mit Begeisterung zum Bosch-Hammer. Nun brauchten wir also Holz für den Stollenrahmen. Wir suchten uns im Dorf einige Lastwagen, fuhren mit Sägen und Äxten in unseren nahen Wald, was wir ohne weiteres genehmigt bekamen und fällten Bäume. Damals gab es noch keine Motorsägen, sondern wir mussten mit den Waldsägen zu zweit ans Werk gehen. Die Bäume wurden dann gleich auf die gewünschte Länge abgesägt, auf die Lastwagen gebracht und ins Sägewerk nach Kemnat geführt. Dort liefen sie durchs Gatter und wurden wieder aufgeladen und zu Hause zu den benötigten Rahmen von Männern zurechtgemacht. Der Ausgang gedieh viel schneller als die mühevolle Arbeit durch den Fels.
Doch nun weiter zum Stollenbau. Als ein Stück der Rahmen gesetzt waren, brauchten wir elektrisches Licht. Ein Elektriker, der auch zu unserer Gemeinde gehörte, übernahm diese Arbeit. Die Treppe durch den Fels gedieh, jedoch noch mehr der leichtere Ausgang. Tagsüber geschuftet, wurden wir jetzt öfters nachts durch die Sirene aus dem Schlaf geweckt und mussten in unseren Keller. Meine Christel, so heißt meine kleine Tochter, zog ich gar nicht mehr ganz aus „ins Bett", sondern sie bekam den Trainingsanzug an und beim ersten Sirenenton, dem Heulen des Fliegeralarms, stand sie im Bett und sagte: ,,Mama Sirene". Wir gingen in den Keller, mein Vater hatte seine geliebte Enkeltochter auf dem Arm und bat mich: ,,Gell, im Krieg koi Kind meh". Im Stollen ging es zügig voran, was auch dringend notwendig war, da die Angriffe auf unsere geliebte Stadt schwerer und häufiger wurden.
Als die Treppe durch die Sandfelsen fertig war, ging es 10 Meter nach rechts, denn wir mussten ja schnell eine Verbindung mit dem Ausgang bekommen. Von dort wieder geradeaus und bald war das notwendige Ziel, das Wichtigste erreicht. – Dann geschah etwas sehr Erfreuliches! Wir bekamen endlich Unterstützung von der Stadt, fertige Stollenrahmen. Nun musste der große Schutzraum für 100 Personen geschaffen werden - bis zur „Germania" - dem damaligen Gasthaus reichte unser Gebiet. Diese hier wohnenden Menschen gingen in unseren Stollen. Im Stollen ging es zügig voran. Der große Aufenthaltsraum war bald fertig und nun mussten wir für Sitzgelegenheiten sorgen. Wir ließen uns eine große Holztruhe machen, in die ich mein schönes Speiseservice und Kaffeeservice, Bettwäsche und andere nützliche Dinge verpackte, für den Fall, dass unser Haus von den Bomben beschädigt oder gar zerstört würde. Auf die Truhe kam ein Polster und oft hat meine kleine Tochter Christel darauf geschlafen und ihre geliebte Oma hat sie betreut. Ich wartete immer die sogenannten Christbäume ab, die Lichtzeichen des Angriffs auf unsere geliebte Heimatstadt Stuttgart. Am Eingang des Stollens war mittlerweile eine schwere Eisentüre angebracht worden und auch zum Ausgang hin gab es eine schwere Türe. Einmal passierte es mir, dass ich gerade noch zur oberen Türe reinkam, als eine Luftmine über uns wegfegte und im Frauenkopf ein Haus wegfegte. Oft flogen die schwer beladenen Bomber weiter in Richtung München oder Nürnberg, dann kam bald der Sirenenton „Entwarnung" und wir durften dann wieder in unsere Betten und wir waren sehr, sehr froh, dass wir wieder heil davongekommen waren. Beim Rückflug der leichten Bomber schoss dann unsere Flak wie verrückt, doch das störte uns dann weiter nicht mehr. Ein Flaksplitter schoss einmal über unsere Haustüre ein Loch rein, wo später dann jedes Jahr ein Kleiber nistete, bis wir es dann zubetonierten.
Die Angriffe wurden schwerer. Heilbronn wurde schwer getroffen. Es gab in dieser Nacht 60.000 Tote und viele Verletzte und wir sahen den glutroten Himmel bis zu uns. Ebenso war es mit Pforzheim, 30.000 Tote. Dann kam unsere Stadt dran. Mein Vater, der in der Brauerei Dinkelacker oft die Nachtschicht übernahm, um am Tage im Stollen oder auf unserem Kühwasen arbeiten zu können, war in dieser Nacht im Geschäft. Ich wusste, dass auch er als Letzter in den Bunker ging, da er Luftschutzdienst machte. Als er am Morgen nicht heimkam, ging ich ihn suchen. Ich musste den ganzen Weg laufen, da keine Straßenbahn mehr fuhr. - Die Stadt war schwer getroffen. Vorbei an noch rauchenden Trümmern, in denen die ausgebombten Menschen ihre letzte Habe suchten, ging mein Weg. Das Herz blutete einem und man musste fest auf die Zähne beißen, um stark zu bleiben, ob solchem Anblick. Auch die Brauerei hatte etwas abbekommen, doch ich fand meinen geliebten Vater gesund und unversehrt. Wir schlossen uns glücklich in die Arme. Er war bei Aufräumungsarbeiten. Ich ging meinen Weg wieder zurück und konnte dann meine Mutter, die mich sehnlichst erwartete, wieder beruhigen.
Beim nächsten Angriff sah es für uns schlechter aus, als wir nach der Entwarnung wieder heimkamen. Im nahen Wald waren einige Sprengbomben gefallen, unser Dach auf der Seite zum Wald hin teilweise abgedeckt. Im Haus gab es kaputte Fenster. Als ich mein Kind ins Bett legen wollte, musste ich zuerst Glasscherben von der Steppdecke weglesen. Die Verdunkelungen waren herunter geflogen, die Nacht war für uns vorbei, wir konnten nicht mehr schlafen! Doch wenigstens mein Kind schlief bald ein. Der Tag erwachte über einer zertrümmerten Stadt. Nun gab es Arbeit für uns! An die kaputten Fenster hängten wir die Verdunkelungen, die aus schwarzem, dickem Papier bestanden. Wir bekamen Dachziegel zugeteilt, mussten sie aber mit dem Handwagen selber holen.
Mein Vater und ich deckten das Dach, damit es wenigstens nicht reinregnete. Dann mussten wir Glasscheiben, ebenfalls mit dem Handwagen in der Stadt holen, in der Lehenstraße, wo auch unser Nachbar, Herr Kugel, eine Großbäckerei hatte. Von ihm bekamen wir oft Brot, da wir nebenher noch seinen Garten „schafften", Kirschen pflückten, Holz machten, usw. Ich war immer dabei, mein Vater erzog mich, da er keinen Sohn hatte, nur mich, mich zugleich als Sohn. Die kränkelnde Mutter machte den Haushalt, kochte das Mittagessen, bis wir kamen, betreute ihre geliebte Christel, die dadurch sehr an ihrer Oma hing und ich konnte die Feldarbeit, - hacken, schoren, pflanzen, säen und ernten „beruhigt", verrichten. Der kleine Schatz war oft dabei, immer ihre „Due" (Suse) im Arm, ohne die sie nie fortging. Es war die „Adolf-Hitler-Puppe", die alle Soldatenkinder zu Weihnachten 1944 bekommen hatten. Eine prallgefüllte Stoffpuppe, die sie innig liebte. Ohne sie ging sie nicht ins Bett und auch wenn wir nach Malmsheim zu den Wiedemanns-Großeltern fuhren, war ihre „Due" immer dabei. Beim Roten Kreuz in Stuttgart arbeitete ein Malmsheimer Bürger (Nagel). Er hatte ein kleines Lastwägelchen, auf dem wir hinten drauf mitfahren durften. Die Großeltern hatten eine sehr große Freude an ihrem „Diddele", wie sie sie nannten. Heimwärts, nach getaner Feldarbeit, öfters 14 Stunden am Tag, wenn mein Vater nachts zu Hause war, konnte ich dort bei der Heu- und Getreideernte helfen. Dafür hatten wir Mehl und Geschlachtetes bekommen und die „Diddel" ihr Gries-Säckchen, auf das sie sehr stolz war.
Nicht vergessen darf ich, dass wir Soldaten-Frauen unseren Männern oft Feldpostpäckchen schickten. Meistens waren Flachswickel und „Gutsle" darin enthalten, da mein Mann ein „Süßer" war und die andere Verpflegung reichlich zugeteilt bekam. Zurück zum Stollenbau! - Ich vergaß etwas sehr Wichtiges! Beim Bau der Treppe geschah ein furchtbares Unglück. Unser Nachbar, Emil Nägele, der früher in unserem Haus wohnte und nun da ich geheiratet habe, bei seinem Bruder Karl im Nebenhaus wohnte, verunglückte beim Sprengen des Sandfelsens. Er wurde von einem schweren Felsbrocken eingeklemmt und erlitt einen Schädelbruch. Zum Glück ging es nochmals gut ab. Die Männer befreiten ihn sorgfältig und er kam ins Krankenhaus und erholte sich bald. Ich lag zu der Zeit mit „Roten Flecken" im Bett, doch es hielt mich kaum. Wäre Emil Nägele gestorben, wäre mein Vater „dran" gewesen, denn er hatte ja gesprengt. Die Angriffe wurden immer schwerer. In der Kernenblickstraße wurde ein Haus von einer Mine wegrasiert. Zum Glück waren die Bewohner im Stollen. Hinten im Wald, wo heute das Rettichstüble, die kleine gemütliche Gaststätte der Kleingärtner ist, war der Eingang und oben der Ausgang. Bei uns im Wald fielen weitere Sprengbomben und dreimal in einer Woche mussten wir einen Teil unseres Daches neu decken. Man bekam nun sofort Dachplatten zugeteilt und nach jedem Angriff gab es Sonderzuteilungen von Lebensmitteln, Kaffee, Zigaretten und einmal Bananen. Meine kleine Christel hatte noch nie eine Banane gesehen.
Das Weihnachtsfest 1944 kam näher. Wir wollten unseren Kindern - 31 an der Zahl - eine besondere Freude machen und wir beschlossen Stollenweihnacht zu feiern. Unser Architekt, Herr Rübling , stiftete seinen Plattenspieler mit Weihnachtsliedern. Wir, Dr. Helbing und ich wollten den „Pelzmärte" und das Christkind machen. Ich zog mein Brautkleid an, machte aus Goldpapier zwei goldene Flügel und Dr. Helbing, auch eine sehr fleißige Stollengraberin, war ein echter „Pelzmärte" mit Bart, Kapuze und Sack mit Geschenken. Ich hatte mir eine Liste mit den Namen der Kinder gemacht, wie brav sie waren und dementsprechend fielen Geschenke, - die kleinen Geschenke im Krieg aus. Ich hatte einen starken Schnupfen und als wir zu meiner Christel kamen, rief sie spontan: ,,Oh, des isch doch mei Mammie!" Die Kinder freuten sich sehr, wir sangen unsere Weihnachtslieder und über Stuttgart war ein schwerer Flieger-Angriff. Zum Glück war dieses Mal bei uns nichts passiert, aber die Stadt brannte. Wir sahen den roten Himmel der geschundenen Stadt, als wir nach der Entwarnung vom Stollen heimgingen. - Wir hatten natürlich Radio im Stollen, denn wir mussten ja immer auf dem Laufenden sein. - Meistens waren es die Volksempfänger, die uns zu Anfang des Krieges die Erfolge der deutschen Armeen meldeten. Es war immer die gleiche Fanfare, wenn eine Sondermeldung kam, - wieviele friedliche Schiffe wieder versenkt wurden. Nun passierte es schon öfters, dass die Stuttgarter wertvolle Sachen aufs Land zu den Bauern brachten, wo sie Lebensmittel dafür bekamen, denn die Lebensmittelkarten reichten für die Städter nicht mehr aus. Viele Mütter hungerten schon, damit wenigstens ihre Kinder noch halbwegs satt wurden. Die gerösteten Kartoffeln mussten mit Magermilch gemacht werden, da das bisschen Fett, das man bekam, hinten und vorne nicht reichte, wer keine Beziehungen zum Land hatte. Wir brauchten keinen Hunger leiden, doch mussten wir arbeiten wie die Pferde. Von morgens um 4 Uhr im Sommer bis abends 10 Uhr war unser Arbeitstag.
Für Sillenbuch war der schwerste Angriff am 12.2.1945. In der Oberen Wiesenstraße gab es Tote und Verletzte. Die Bewohner wollten gerade in den Stollen, als schon die Bomben fielen. Ich weiß die Zahl nicht mehr, werde aber, wenn ich das Grab meines Mannes wieder besuche, nachsehen, denn auf unserem alten Friedhof sind sie begraben. - Ich habe nachgesehen, es waren 16 Gefallene, eine ganze Familie dabei.
Der 21. April 1945 kam. Der Einmarsch. Ich stand morgens noch Schlange wegen Brot. Mittags hieß es französische Truppen, hauptsächlich T unesier und Marokkaner würden kommen. Wir gingen in den Stollen. Die meisten Frauen hatten furchtbare Angst vor dem vergewaltigt werden. Ich sagte: „Jetzt lasset's doch erst a mol komma!" Sie kamen nicht! Im Oberen Teil von Sillenbuch wurde geschossen, doch fuhren sie direkt in unsere geliebte Stadt. Später erfuhren wir, dass die Truppen auch genug hatten vom Krieg, ihnen aber versprochen wurde, dass sie in dieser Stadt tun und lassen durften, was sie wollten und dies auch zur Genüge taten.
Die deutschen Männer wurden gebunden und mussten ohnmächtig zusehen wie ihre Frauen vergewaltigt wurden.
Ein ewiger Schandfleck für Frankreich!
Und die wichtigen Geräte in den Stuttgarter Krankenhäusern nahmen sie mit. Dazu kam noch, dass sie im Schwarzwald große Stücke der Wälder abgeholzt und mitgenommen haben. Mein Vater musste noch zum Volkssturm einrücken. Von Cannstatt her kamen die Amerikaner. Die König-Karls-Brücke sollte noch gesprengt werden, doch in letzter Minute wurde dies noch verhindert von dem damaligen Oberbürgermeister Dr. Strölin. Als ob das Sprengen einen Wert gehabt hätte. Es wäre doch für die Amis eine Kleinigkeit gewesen, über den kleinen Neckar zu kommen".
Quelle: Zielfleisch, Rolf: Geheimnisse im Stuttgarter Untergrund. 1. Auflage, Stuttgart: typoform Verlag, 2008
Lyrik
D'r Stolla Luginsland
Mer lebat enra schwere Zeit,
darüber gibt's koin Zweifel,
denn d' Menscha send net emmergscheid,
en manche lebt der Deifel.
Drom schmeißet onsre böse Feind,
dia donderschlechtge Lompa,
manchmal en unser Siedlung nei
aus purem Haß jetzt Bomba.
Zerscht hot mer glaubt des ka net sei,
mer brauchet au koin Stolla,
drom hot mer stet ond langsam do,
bis zmal kam's aus em Volla.
No Hot mer ghackt ond bohrt ond graba
bei Dag ond en der Früah,
selbst d'Fraue wolldet 's Vorrecht haba.
Nach Wocha zoigt sich onser Müah.
Jetzt ka mer na en onsern Stolla,
's Gspräch en der ganza Siedlong war,
blos fehlet d' Türa no zum Volla,
dia send heut wia so manches rar.
Ond onser Vorstand, Nothardt hoißt er,
von Angesicht a großer Ma,
der muaß sich manchmal elend ärgra,
daß er fascht schiergar nemma ka.
Der oi, der will net nabe steiga,
weil d' Luft da oba besser sei.
Der andre duat der Bocksterch zoiga,
weil er sein Sitzplatz kriagt net glei.
A Jedes fragt en nach de Türa:
Wird's endlich mit de Türa wohr?
Mer wellat 's Leba net riskiera.
Vom froga kriegt er graue Hoor.
Doch eines Dags, do gucket na,
mer hört's in älle Sträßla saga,
jetzt hemmer feste Türa dra,
jetzt soll no oiner nomal klaga.
Drom strömet d' Leut en große Schaara
die 86 Treppa na.
Selbst wenn oi Flieger brommt am Hemme!,
a Jeder schreit: Schnell ganget ra.
Ond wias halt ischt bei ällem Neua,
zerscht hört mer blas nur gröschtes Lob.
Scho mancher duat sei Wort bereua,
sogar a mancher wird scho grob.
Des wisset onsre Ordner älle,
drom hen se Nerve wia a Kuah
se wisset au 's gibt bsonders helle,
doch koiner brengt se aus der Ruah.
Ern andra, dem ist's feucht da dronta,
a bisle Wohrs ischt da scho dra,
ond schö hat mancher dr Abort net gfonda
ond wartet deshalb bis dra na.
Doch schlemmst von älle dene Übel
des ischt ond bleibt a Wasserbach,
der füllt em Augablick an Kübel,
mer kriegt's bloß raus mit Ach ond Krach.
Drom duat mer do elektrisch bomba,
0 weh!, doch ist's amol passiert,
der Strom hat ausgsetzt durch dia Lompa,
a Leitong hen se durchrasiert.
Ond's Wasser steigt, mer hört's scho rausche,
ond bis an d' Kniea stoht mancher drenn,
en älle Ecka hört mers lauscha,
mer hört bloß no des Wörtle: Wenn.
Doch onser Kommandant, der lange,
er hat so oft der richt'ge Blick,
entdeckt mit seinem Adlerauge
a alte Feuerspritz zom Glück.
Ond d' Männer, d' Fraua, Kend ond Kegel,
se bombet älle Dag ond Nacht,
ond selbst der kloinste von de Hegel
duat bomba bis am d' Hosa kracht.
Ond älles bombt mit vollem Eifer,
a Jedes zoigt sei volla Kraft,
da gibt's wohl kaum an oinzga Kneifer,
a Jeder moint, daß er's voll schafft.
Doch plötzlich kommt der Strom jetzt wieder,
ond dia elektrisch Bomba duat,
ond weil er nemme bomba ka,
kriagt mancher gar a großa Wuat.
Drom wella mer onser Wuat bekämpfa
heut mit a ma Gläsle guata Wei,
ond wellet nemme weiter schempfa,
des soll jetzt onser Losung sei!
Ond wellat 's neue Jahr beginna
mit Zuaversicht ond neuem Muat,
ond wird's der Sieg ans gar voll brenga,
na wird dia Sach scho wieder guat.
Aus onserm Stolla na soll werda
a Keller, voll mit guatem Wei,
ond ischt der Frieda erseht auf Erda,
na soll des Fescht em Stolla sei.
Neujahr 1945
Fritz Freyer
Zum „Stollenfest“ am 25. Dezember 1944.
Wir kamen Durch!
Gross ist die Freude bei Allen heute,
Es strahlen viel grosse und kleine Leute.
Es ist gelungen, was keiner mehr dachte,
Was Vielen so grosse Sorge machte:
Wir kamen durch!
In vielen Monden und Tagen und Wochen.
Sind wir in den Stollen gekrochen,
Haben gebohrt, geschippt und geschoben,
Haben die schweren Hämmer gehoben:
Nun sind wir durch!
Freilich gab’s Schwielen und müde Glieder,
Zerrissene Hemder und dreckige Mieder.
Im Schmutze fast gingen die Stiefel verloren,
Und der Schweiss drang uns durch alle Poren:
Doch jetzt sind wir durch!
Und wenn wir einmal wollten erlahmen,
Vor allem die blassen und zarten Damen,
Dann riss und empor mit Donnerstimme
Herr Janssens Organ in seinem Grimme:
"Wir wollen durch!"
Mit Witz und Humor, mit Ernst und mit Strenge
Geleitet er uns in die finsteren Gänge.
S'war wahrlich oft ein wüster Haufen.
Dann liess er den sausenden Motor anlaufen:
Wir wollen Durch!
Frau Janssen stand ihm treu zur Seite,
Aufmunternd, einteilend und tadelnd die Leute.
Drum soll ihr Ruhm auch niemals verwehen,
Am Eingang des Stollens ihr Denkmal soll stehen:
Denn wir sind durch!
Gross ist die Zahl der vielen Braven,
Die schufteten, oftmals ohne zu schlafen
Sie opferten Nächte und freie Tage,
Auf den Lippen, im Herzen nur diese Frage:
"Kommen wir durch?
Leider zieren die Stollengemeinde
Einige windige Stollenfreunde.
Wenn‘s tutet steh'n sie hier Rück an Rücken,
Doch vor. der Arbeit da tun sie sich drücken.
Kommt man so durch?
Ohne den "Kappo" wär's nicht gelungen,
Dass wir hätten den Stollen bezwungen.
Fast täglich und stündlich zu unserem Wohle
Sah man den fleissigen Alfred Hohle.
Deshalb kamen wir durch!
Mit Maßstab und Schnur und Trigonometer
Konnte, wer wollte, sehen ein jeder
Unsern Herrn Blauss, wie er abnahm die Maße,
Errechnend die Richtung und Länge der Gasse.
Wir wollten ja durch!
Überall aber mit denkender Stirne,
Schwitzend Ideen aus ihrem Hirne
Wirkte die Leitung, die immer bedachte,
Was man zu tun, und wie man es machte,
Dass man kam durch!
Jetzt sind wir alle hier beisammen,
Um unser Weihnachtsgeschenk zu empfangen,
Es hat sich gezeigt, wenn die Jungen und Alten
So treu wie wir zusammenhalten,
Dann kommt man durch!
Wenn einst von diesen schweren Tagen
Die Sänger unsern Enkeln sagen,
Sie werden in Liedern begeistert singen:
"Ihr Wollen führte auch zum Gelingen;
Sie kamen durch!"
Drum hebet die Gläser und lobt gute Taten!
Und denket auch an die tapfern Soldaten
Sie opfern und kämpfen im Osten und Westen
Dies alles tun sie zu unserem Besten!
Auch sie kamen durch!
Theodor Hagmann, Rektor
(Stollengedicht des Rektors der Filderschule in Degerloch anlässlich des Durchstoßes im Pionierstollen Ramsbachstraße/Birkachstraße (früher Zedernweg))
Quelle: Zielfleisch, Rolf: Geheimnisse im Stuttgarter Untergrund. 1. Auflage, Stuttgart: typoform Verlag, 2008